Salomon Formstecher - ein Leitstern des deutschen Judentums

Rede zur Gedenkveranstaltung aus Anlass des 200. Geburtstags von Dr. Salomon Formstecher


Von Erik Lehmann, Vorsteher der Offenbacher Stadtverordnetenversammlung


Der 26. Juli 1808 war für die Offenbacher ein Tag wie jeder andere, nicht jedoch für den Kunsthandwerker Moses Formstecher und seine Frau Schönchen. An diesem Tag wurden sie Eltern; es war der Geburtstag ihres Sohnes, der den Vornamen Salomon erhielt. Ein Tag - was sicherlich niemand ahnen konnte - an dem den deutschen Juden in Offenbach ein neuer Leitstern geboren wurde, der wie den Seefahrern der Antike Orientierungshilfe, Orientierungspunkt sein würde. Der junge Salomon wurde von Kindesbeinen an vom Vater in Hebräisch und dem Talmud unterwiesen, besuchte die Lateinschule. Nachdem sein Wunsch, ein Handwerk zu erlernen, sich für einen Juden in dieser Zeit nicht realisieren ließ, bewirkte der Vater die entscheidende Weichenstellung für den gesamten Lebensweg Salomons. Er studiert an der Universität Gießen und promoviert 1831 zum Dr. phil.


Im Einklang mit der Umwelt Jude sein

Dr. Salomon Formstecher kehrt in die Heimatstadt Offenbach zurück, wird in der israelitischen Gemeinde, die bereits damals für Reformen offen war, 1832 Religionslehrer und Prediger. Er identifiziert sich mit der noch jungen jüdischen Reformbewegung. Ihm ist der kulturelle und gesellschaftliche Zwiespalt klar, in dem sich das Judentum in Deutschland nach dem Fall der Ghettomauern befindet. Die von den Juden über Jahrtausende gehütete und gepflegte Überlieferung und Lebensweise treffen auf die kulturellen und geistigen Entwicklungen Westeuropas, die seit der Reformation und Aufklärung stattgefunden haben. Formstecher sucht und findet über die Reformbewegung den Weg, das deutsche Judentum mit der veränderten Umwelt in Einklang zu bringen. Er rührt dabei nicht an der Identität, dem religiösen Inhalt, Geist und Ethik des jüdischen Glaubens. Er modernisiert von Offenbach aus vorrangig den Kultus, die deutsche Sprache wird neben anderen Reformen in die kultischen Handlungen des Gottesdienstes eingebracht. Mit der Übernahme der deutschen Sprache drücken die Reformer auch ihre nationale Einstellung aus. Die deutschen Juden bringen sich mit Selbstbewusstsein hinsichtlich ihres Glaubens als Deutsche in die Gesellschaft ein.


Judentum: Die Religion des Geistes

Im Jahr 1841 erschien sein Hauptwerk "Die Religion des Geistes, eine wissenschaftliche Darstellung des Judentums". Auf Einladung der Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft unterzieht der Philosoph Thomas Meyer 2002 diese bedeutende Schrift zur Geistesgeschichte des deutschen Judentums "einer neuen Lektüre" und bezeichnet das Werk als erste philosophische Grundlegung der Reformbewegung und Formstecher selbst als ersten modernen Historiker des Judentums. Formstecher steht in einer Reihe mit den bedeutendsten deutschen Reformjuden, zu denen einer der berühmtesten Philosophen der deutschen Aufklärung, Moses Mendelssohn gehört. Nebenbei bemerkt: Dieser grandiose Geist, der auch der Philosoph der jüdischen Aufklärung war, ist der Großvater von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Die Lektüre der "Religion des Geistes" warf und wirft Fragen auf: Ging Formstecher mit seiner Begründung des Judentums als eine Religion, die dem Ideal des ethischen Monotheismus folgte und mit dessen Annahme durch die Menschheit einer besonderen Lebensweise nicht mehr bedürfe, zu weit? War die Übernahme der Reformziele durch die deutschen Juden nach der Formel "Deutscher werden, Jude bleiben" die Aufforderung zu übertriebener Akkulturation in die deutsche Kultur? Nein, die deutschen Juden wollten Deutsche sein und sie waren es. Nicht unterwürfig, sondern selbstbewusst als Teile der Nation. Sie achteten und respektierten die Regeln und Gesetze der Gesellschaft und die Regentschaft und sie brachten Opfer.


Jude und Deutscher: Deutscher Jude

Daran erinnert bis heute das Ehrenmal auf dem Friedhof, auf dem die Namen der gefallenen deutschen Juden des ersten Weltkriegs aufgeführt sind und die Tatsache, dass 1916 bei Einweihung der Synagoge, in der wir uns heute befinden, Gebete in deutscher Sprache für den Landesherren und den deutschen Kaiser gesprochen wurden. Uns mag das heute unter dem Aspekt des im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wieder aufkeimenden Antisemitismus, dem in den Jahren der Nazidiktatur das unfassbare Verbrechen der Vernichtung der deutschen Juden folgte, widersinnig, ja absurd erscheinen. Aber es entsprach der nationalen Gesinnung der Juden in dieser Zeit.
Im März 1842 wird Salomon Formstecher in der israelitischen Gemeinde Offenbachs zum Rabbiner berufen. Sein Ruf als Vordenker und Reformer reicht weit über Offenbach hinaus. Er beteiligt sich 1844 bis 1846 in führender Position an den Rabbinerversammlungen in Braunschweig, Frankfurt und Breslau.

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