"Ein markantes Beispiel für die letzte Hochblüte des Synagogenbaus"

Besichtigung der ehemaligen Synagoge in der Goethestraße unter Leitung des ehemaligen Stadtarchivars Hans-Georg Ruppel

25. Mai 2008,
11.30 Uhr bis 13.00 Uhr
Treffpunkt: "Capitol" Theater, Goethestraße 1–5
Keine Teilnahmegebühr

Veranstalter:
Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft Offenbach

Wie beim Konzert "Zu deines großen Namens Ehre" angekündigt, das am 18. November 2007 in der Reihe "Capitol Classic Lounge" stattfand, lädt die Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft zur Besichtigung der ehemaligen Offenbacher Synagoge in der Goethestraße ein. Unter der Leitung des langjährigen Stadtarchivars Hans-Georg Ruppel besichtigen wir das historische Gebäude, in dem sich mittlerweile das "Capitol" Theater befindet. Auf Anregung der Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft erinnert seit 2002 im ehemaligen Vorhof (heute Foyer) eine Informationstafel an die Geschichte des Bethauses. Außerdem ist der ehemalige Gemeindesaal nach Rabbiner Dr. Max Dienemann benannt.

Nach Ansicht des F.A.Z.-Architekturkritikers Dieter Bartetzko ist die 1916 errichtete Synagoge ein "markantes Beispiel" für die zur Wende des 20. Jahrhunderts einsetzende "letzte Hochblüte des Synagogenbaus in Deutschland". In der Formsprache dominiere die griechisch-römische Antike, die Hauptkuppel zitiere das Pantheon, die Einzelformen zeigten strenge Dorik, schrieb Bartetzko in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (25. April 1995). Daß die Stilwahl an Peter Behrens' 1911 erstellte Deutsche Botschaft in St. Petersburg erinnere, die man anerkennend als "gebauten deutschen Staatskonservatismus" bezeichnet habe, sei nicht zufällig. Die jüdische Gemeinde Offenbachs habe sich wie andere Gemeinden als integraler Bestandteil des deutschen Staates und der deutschen Architektur verstanden.

Bei der inneren Gestaltung der Synagoge handelt es sich nach Darstellung von Salomon Korn, Sachverständiger für Synagogenbauten und Vize-Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, um eine besonders ausgeprägte "Inszenierung sakraler Räume", einer Inszenierung, mit der abseits stehende Gemeindemitglieder hätten zurückgewonnen werden sollen (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. Februar 1994). Vorbild sei der Zweite Tempel in Jerusalem gewesen, als dessen Abbreviatur die "Zonen der gesteigerten Heiligkeit" anzusehen seien, wie sie sich in der Raumfolge ausdrückten. Von dem säulenumstandenen Hof sei man in die Vorhalle gelangt, wo sich an der Ostwand ein weiterer Vorraum befunden habe, der zum Allerheiligsten, der Lade mit den Thorarollen, geführt habe. Dieser innere Synagogenaufbau sei kennzeichnend für das Reformjudentum gewesen, das Deutschland als das "Gelobte Land" und die Synagoge als Ersatz für die Wiedererrichtung des von den Römern im Jahre 70 nach der Zeitenwende zerstörten Tempels angesehen habe.

Mit einer emphatischen Aussage umschrieb Dr. Max Goldschmidt am 16. April 1916 bei der Einweihung des neu errichteten Bet- und Versammlungshauses die lang ersehnte Anerkennung der fast 2500 Offenbacher Juden als gleichberechtigte Bürger des Gemeinwesens: "Wir haben uns einen Platz an der Sonne erobert und diesen Platz wollen wir behaupten." Hatte die Gemeinde Anfang des 18. Jahrhunderts ihre Synagoge in der damaligen "Juden Gaß" – seit 1822 Große Marktstraße genannt – errichten müssen, so galt diese früher am Rande Offenbachs gelegene Straße den Nachgeborenen als Sinnbild der Demütigung und Entrechtung. Die Goethestraße indes stand für die bürgerliche Gesellschaft, zu deren Mitte Offenbachs Juden strebten. Die neue Synagoge sollte Symbol eines nicht ausgegrenzten Judentums sein.

Erbaut nach Entwürfen der Offenbacher Architekten Fritz Schwarz und Karl Wagner – die Israelitische Gemeinde hatte 1912 einen Wettbewerb ausgeschrieben, an dem 94 Architekten aus ganz Deutschland teilnahmen –, zählte der monumentale Kuppelbau zu einem neuen Typus von Synagogen, der im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstand und sich weder an die Kirchenarchitektur noch an orientalische Vorbilder anlehnte. Rasch wurde die Offenbacher Synagoge zu einem Referenzbau, etwa für die 1917 eingeweihte Synagoge in Augsburg. Schon seit dem frühen 19. Jahrhundert gehörte die Gemeinde der jüdischen Reformbewegung an, die als überlebt angesehene religiöse Rituale und Bräuche beseitigen und jene Barrieren beiseite räumen wollte, die Juden von ihren nichtjüdischen Nachbarn im Alltag trennten. War die alte Synagoge vor allem mit dem Namen von Rabbiner Salomon Formstecher (1808–1889) verbunden, einem der "Gründungsväter" der Reformbewegung, so wurde die Synagoge in der Goethestraße zur Wirkungsstätte von Rabbiner Max Dienemann (1875–1939), ein führender liberaler Rabbiner, der als traditionsbewußter Erneuerer jüdischer Frömmigkeit international Autorität erlangte.

Doch die Synagoge mit ihrer fast dreißig Meter hohen Kuppel ist nicht nur ein Symbol der Emanzipation der Juden, sondern auch des Scheiterns, der Vertreibung der Offenbacher Juden und der Vernichtung ihrer Gemeinde. Schon vor der Machtübernahme hatten Offenbachs Nationalsozialisten die Synagoge in den Blick genommen und befunden, das Gebäude sei geeignet, um darin ein Theater einzurichten. Obwohl die Synagoge beim Pogrom am 10. November 1938 geschändet wurde – das von SA-Männern gelegte Feuer zerstörte Inneneinrichtung, Thoraschrein, Rabbinerzimmer und Bibliothek –, blieb die Gebäudehülle unversehrt. Im Dezember 1938 war der Gemeindevorstand gezwungen, das Haus an die Kinobetreiber Ruttmann weit unter Wert zu verkaufen. Die NSDAP nutzte das "National-Theater" zudem für Kundgebungen und HJ-Feiern. Beim Umbau wurde die Synagogenarchitektur teilweise entstellt oder zerstört.

Weil nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wiederentstehen jüdischen Lebens in Deutschland für unmöglich angesehen wurde – nach Offenbach waren nur ungefähr 16 Juden aus den Konzentrationslagern oder der Emigration zurückgekehrt –, verkaufte die jüdische Rückerstattungsorganisation JRSO das Gebäude Anfang der fünfziger Jahre an die Stadt Offenbach, die sich gegenüber der Jüdischen Gemeinde verpflichtete, die ehemalige Synagoge nur zu kulturellen Zwecken zu nutzen. Nach einem Umbau eröffnete die Stadt darin 1954 ein Theater, das sie bis 1989 unterhielt. Fünf Jahre später ließ der Kölner Konzertveranstalter Peter Rieger das von ihm gepachtete Haus zum Musical-Theater umbauen und die ursprüngliche Synagogenarchitektur größtenteils wiederherstellen. Seit 1998 wird in der früheren Synagoge das "Capitol" Theater betrieben.

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.