Pressestimmen

19. Oktober 1995
"Das Judentum ist pluralistisch"

Eröffnungsveranstaltung mit Professor Ernst Ludwig Ehrlich, Basel, in Anwesenheit der Töchter von Rabbiner Dr. Max Dienemann (1875-1939)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rhein-Main-Zeitung,
21. Oktober 1995, Seite 59


Erinnerung an den letzten Rabbiner
Töchter Max Dienemanns zu Besuch in Offenbach / Veranstaltung in der früheren Synagoge

lu. OFFENBACH. "Wie lange noch wird dieses Haus das Haus einer jüdischen Gemeinde sein? Wie lange wird es eine jüdische Gemeinde hier geben?" Diese Fragen stellte Offenbachs Rabbiner Max Dienemann im Dezember 1938 denjenigen Gemeindemitgliedern, die noch nicht emigriert oder Opfer der braunen Terrorhorden geworden waren. Die Fragen wurden schnell von der Wirklichkeit beantwortet. Es sollte die letzte Rede Dienemanns in Offenbach sein. Er hielt sie zu Sabbat Chanukka nach seiner sechswöchigen Haft im Konzentrationslager Osthofen in dem der Synagoge angegliederten Gemeindesaal. Der große Kuppelsaal der Synagoge, wo sonst Gottesdienst gehalten wurde, war in der Pogromnacht verwüstet worden. Wenig später zählte die Gemeinde nur noch 580 Mitglieder, 1942 wurden die letzten Juden in die Vernichtungslager transportiert.

Am Donnerstag abend war das Judentum erstmals seit dieser schrecklichen Zeit wieder Thema einer Veranstaltung in dem Raum, in dem der letzte Gottesdienst Dienemanns stattgefunden hatte. Der - bis auf die Decke mit ihren einst prächtigen Ornamenten - originalgetreu hergerichtete Raum trägt fortan seinen Namen. Nach einer Vereinbarung zwischen den Betreibern des in den Mauern der Synagoge beheimateten Musicaltheaters und der Stadt steht der Dienemann-Saal regelmäßig Vereinen und Verbänden der Stadt zur Verfügung. Der Geschichte des Raumes gemäß machte die neue Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft am Donnerstag den Auftakt.

Vor geladenen Gästen sprach der Baseler Professor für neuere jüdische Geschichte und Literatur, Ernst Ludwig Ehrlich, über das Thema "Das Judentum ist pluralistisch". Unter den Zuhörern im neuen Dienemann-Saal am Donnerstag saßen zwei betagte Damen, die besonders aufmerksam lauschten. Gespannt nicht nur deshalb, weil die deutsche Sprache für ihre Ohren ungewohnt geworden ist, sondern vor allem, weil sie engsten Bezug zu Dienemann und dem Haus an der Goethestraße haben: Dienemanns Töchter Gaby Jacobi und Paula Schindler waren auf Einladung der Gesellschaft mit ihren Enkeln Daniel und David von London nach Offenbach gereist. Dienemanns Töchter - Paula 1909, Gaby 1919 geboren - waren vor ihren Eltern aus Deutschland geflohen. Paula ging 1933 nach Palästina, Gaby emigrierte 1937 nach England und heiratete dort. Später siedelte Paula von Palästina nach London um. Die dritte Schwester, Dora, hatte Ende der zwanziger Jahre einen Amerikaner geheiratet und war ihm in seine Heimat gefolgt. Sie starb 1989 in Chicago. Dienemann selbst und seine Frau Mally flüchteten nach Dienemanns letztem Gottesdienst zunächst nach London, dann nach Tel Aviv. Eine friedliche gemeinsame Zeit war ihnen dort aber nicht mehr vergönnt. Dienemann starb im Jahr darauf.

Am Donnerstag hatten die beiden Damen das neue Musical-Theater in Augenschein genommen. Bei den Umbauten war darauf geachtet worden, daß der Kuppelsaal und die große Eingangshalle soviel wie möglich von ihrem ursprünglichen Charakter behielten oder dank freigelegter Säulen wiederbekamen. Gaby Jacobi äußerte staunend, der Saal, wo heute das Musical "Tommy" über die Bühne geht, sei ganz die alte Synagoge geblieben. Dafür dankte sie Alexander Steiman, dem Produzenten des Musicals.

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.