Pressestimmen

3. Dezember 1997
"Jüdische Konfirmation und Choräle in der Offenbacher Synagoge? -
Die Religionsphilosophie des Rabbiners
Salomon Formstecher und das Gemeindeleben".
Vortrag von Wolfgang Se'ev Zink, Frankfurt


Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rhein-Main-Zeitung,
5. Dezember 1997, Seite 80


Offenbacher Juden spielen zentrale Rolle
Schon 1832 demokratisch Synagogenverordnung gewählt / Vortrag im Gemeindezentrum

sak. OFFENBACH. Die Reformbewegung der Juden im 19. Jahrhundert ging hauptsächlich von Deutschland aus. "Zwischen 1825 und 1840", erläuterte Wolfgang Se'ev Zink gestern in seinem Vortrag, "hat sich das Judentum nicht nur zum Reformjudentum entwickelt, sondern auch die Riten geformt, die heute auf der ganzen Welt ausgeübt werden." Zink war als Referent von der Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft eingeladen worden, im Jüdischen Gemeindezentrum in Offenbach über die deutsch-jüdischen Reformbewegungen im 19. Jahrhundert zu sprechen. Der Potsdamer Wissenschaftler, der mit Regionalstudien zur Geschichte der Juden in Hessen hervorgetreten ist, griff in seinem Vortrag auch auf Dokumente aus dem Hessischen Staatsarchiv zurück, die bislang von der Wissenschaft vernachlässigt wurden.

Die Reformbestrebungen der Juden seien eine Reaktion auf ihre Suche nach Orientierung in einer Gesellschaft gewesen, die sich zunehmend säkularisiert habe: Nicht nur die mittelalterlichen Ghettos seien verschwunden, auch die traditionelle jüdische Lebensweise sei immer mehr in den Hintergrund getreten. Eine der Kernfragen der Reformbewegung habe daher gelautet: "Warum und auf welche Weise bleibt man Jude, wenn man sich von der Umwelt kaum mehr unterscheidet?" Zink verwies dabei auf die zentrale Rolle der jüdischen Gemeinde in Offenbach: "Hier nahm alles seinen Lauf." Denn schon in den zwanziger Jahren hätten sich die Offenbacher Juden den neuen Ideen zugewandt und 1832 - als eine der ersten Gemeinden - demokratisch eine Synagogenverordnung gewählt. Diese Verordnung, "ein inhaltliches und formales Unikat", aus der Zink zitierte, habe vor allem auf die Reform von Liturgie und Kultus gezielt. Die Neuerer hätten sich darin den protestantischen Gottesdienst zum Vorbild genommen: Konfirmationen, Predigten in deutscher Sprache, Choräle sowie Gebete für den Großherzog und das Haus Isenburg.

Auch auf die Rolle des Offenbacher Rabbiners Salomon Formstecher kam Zink zu sprechen, der von 1842 bis zu seinem Tod 1889 in seiner Geburtsstadt als Gemeinderabbiner amtierte und der dem Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin zufolge zu den "Gründungsvätern" der deutsch-jüdischen Reformbewegung gehört. "Doch Formstecher wird heute", kritisierte Zink, "in seiner Wirkung immer noch erheblich unterschätzt." Denn in Offenbach, wo Formstecher seit 1832 Religionslehrer und Prediger war, habe er jene Ideen in die Praxis umgesetzt, die er später in seinem 1841 erschienenen Hauptwerk "Die Religion des Geistes" formulierte.

Die konservativen Kritiker der Reform in Offenbach hätten sich schließlich von der Gemeinde getrennt. Aber sie seien nicht ausgetreten, erklärte der Wissenschaftler, sondern hätten sich fortan separat getroffen.

Daß zwei Richtungen - die Rationalisten und die Traditionalisten - unter dem Dach einer Gemeinde lebten, bezeichnete er dabei als sehr ungewöhnlich.

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.