Pressestimmen

20. September 2000
"Ein Abend mit Fritz Muliar -
Wiener Kaffeehausliteratur und Autobiographisches"

Offenbach-Post, 22. September 2000, Seite 18

Urgestein mit Literatur aus dem Kaffeehaus
Burgschauspieler Muliar in Offenbach

Es sind bekanntlich die Bretter, die die Welt bedeuten. Für jeden Künstler, der sich einmal erfolgreich auf ihnen bewegt hat. Und was macht er, wenn er das Pensionsalter erreicht hat? Er sucht nach neuen Wegen, notfalls durch die Hintertür, diese Bretter wieder zu betreten. Im Falle des langjährigen Burgschauspielers Fritz Muliar muss man von Glück reden, dass er nicht tatenlos die Rente genießt. Wäre auch gänzlich undenkbar für einen Künstler, der fast sein ganzes Leben lang die Menschen am und mit Theater als Charakterdarsteller aber auch im komödiantischen Fach begeistert hat.

Als chamäleonartiger Akteur in ungezählten Rollen, als braver Soldat Schwejk für ein Millionenpublikum am Bildschirm und auch als Textrezitator auf Platte und CD. Jetzt war er in Offenbach zu Gast. Auf Einladung der Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft, die in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt und dem Bertelsmann-Club den Abend im Büsingpalais organisiert hatte.

Ein wenig schwer fiel es dem Wiener Urgestein schon, die Treppe zur Bühne des sehr gut besuchten Jacques-Offenbach-Saals zu besteigen. Dies war dann aber das einzige Problematische an einem Abend, der nicht nur Literatur-Freunde, sondern auch die des Kabarett begeisterte. Muliar, die lebende Legende, las viel. Hauptsächlich aus Schriften seines Heimatlandes, der so genannten Wiener Kaffeehaus-Literatur, und überwiegend Texte lebender oder bereits verstorbener jüdischer Autoren. Die Lesung mischte sich aber immer wieder mit Autobiographischem aus einem langen, erfüllten Leben.

Ob süffisant, mit zwingender Stimme vorgetragene Aphorismen eines Peter Altenberg zur österreichischen Kaffeehaus-Kultur, ob Joseph Roths poetische Reflexionen über die k. und k.-Monarchie oder ein Gedicht des "sträflich unterbewerteten" (Muliar) Lyrikers Theodor Kramer: Stets hatte man den Eindruck, dass hier einer auch seine eigene Geschichte erzählte. Die einer nicht immer ungetrübten Liebe zu einem Land, "das anders als jedes andere ist". Dass es Sprachbarrieren fürs Publikum zu überwinden galt, hatte Muliar schon zu Beginn des Abends augenzwinkernd in Abrede gestellt: "Mit a bisserl guten Wülln können's mich schon verstehn." Sicherlich kein Problem, solange er im Wiener Idiom blieb, aber bei jiddisch rezitierten Texten und Apercus wurde es schon ein wenig schwierig. Sollte es aber auch. Denn einem Muliar ist immer auch an Authentizität gelegen. Und als er kurz vor Schluss eine verfrüht gen Ausgang strebende Besucherin verschmitzt zum Bleiben aufforderte, gehorchte sie prompt. Was sollte sie auch tun - der Theatermann schlägt einfach in Bann. Und das mit 81 Jahren.

JOACHIM SCHREINER

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.