Pressestimmen

5. September 2002
Er verhörte die Nazi-Größen
Richard W. Sonnenfeldt (USA), Chefdolmetscher der US-Anklage beim Nürnberger Prozeß 1945/46, im Gespräch mit dem ARD-Journalisten Jochanan Shelliem

Offenbach-Post, 9. September 2002, Seite 27

"Ribbentrop war nur Idiot, sonst nichts"
Zeitzeuge Sonnenfeldt erzählt vom Nürnberger Prozess

Offenbach (LRB) – Die Zeitzeugen werden rar. Bald wird es kaum mehr jemanden geben, der an die Hitlerdiktatur und ihr Personal noch persönliche Erinnerungen hat. Das sicherte der Offenbacher Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft einen vollen Saal, als sie im Gebäude der Industrie- und Handelskammer den deutschstämmigen Amerikaner Richard W. Sonnenfeldt präsentierte. Sonnenfeld war 1945/46 Chefdolmetscher der Anklage im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher.

Er hat mit allen gesprochen, die damals auf der Anklagebank saßen oder als Zeugen aus dem zweiten Glied zu vernehmen waren. Dabei hat er sie nicht erlebt als die überragenden Führungspersönlichkeiten, vor denen man einmal mit Respekt und Gehorsam hatte strammstehen müssen. Sonnenfeldt erkannte sie als "Kriecher und Streber" ohne menschliches Format.

Lediglich der Machtmensch Hermann Göring scheint ihn beeindruckt zu haben: "Der unmenschlichste Raubritter, der mir je begegnet ist. Aber er hatte Charme und wusste ihn einzusetzen." Den Finanzexperten Hjalmar Schacht fand Sonnenfeldt "kalt und hochnäsig". Hitlers Steigbügelhalter Franz von Papen nannte er "eine Schlange". Für den Reichsaußenminister von Ribbentrop fand er die Beurteilung: "Er war nur Idiot, sonst nichts."

Dämonische Erscheinungen wie der Auschwitz-Kommandant Höss oder der Polen brutal beherrschende Generalgouverneur Hans Frank schrumpften in diesen Berichten auf das Maß einer verblüffenden Banalität. Beiläufig war dabei zu erfahren, dass Nürnberg als Prozessort keineswegs wegen seiner nationalsozialistischen Reichsparteitags-Tradition gewählt worden war. Es war nur die einzige unter den zertrümmerten deutschen Großstädten, wo es noch ein intaktes Gerichtsgebäude und daneben ein intaktes Gefängnis gab.

Erzählt wurde davon in der Form eines Gesprächs, das der Rundfunk-Journalist Jochanan Shelliem mit Sonnenfeld führte. Allein in Offenbach und dann in einer Biolek-Talkshow des Westdeutschen Rundfunks stellt der Gast sich bei seinem Deutschlandbesuch in dieser Form der Öffentlichkeit.

In Offenbach nahm er am Freitag zudem die Möglichkeit wahr, in der Rudolf-Koch-Schule mit Schülern aus drei Offenbacher Gymnasien zu sprechen. Einem Publikum also, das noch weiter entfernt ist von der Zeit, die den deutschen Juden Sonnenfeldt als 15jährigen in die Emigration trieb und als 22jährigen US-Leutnant wieder zurück führte.

Vor den Schülern aus Rudolf-Koch-, Edith-Stein- und Marienschule moderierte Gottfried Kößler das Gespräch, ein pädagogischer Mitarbeiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts. Pädagogischer Hilfen indes bedurfte der Gast kaum. Der Achtzigjährige plauderte mit den jungen Leuten so locker und unterhaltsam, als habe ihn diese Begegnung erfrischt.

Etwas breiteren Raum widmete er dabei der Etablierung des Regimes in der ersten Hälfte des Jahres 1933, der nur Wochen umfassenden Phase zwischen demokratischen Zuständen und Diktatur. Könnte es sich wiederholen? Sonnenfeldt verneinte: "Ihr habt jetzt die bessere Verfassung."

Wie er sich als Deutschstämmiger in diesem Prozess der Siegermächte gefühlt habe, wollten Schüler wissen. Wie die Angeklagten sich verhalten haben. Ob sie einen fairen Prozess hatten, in dem tatsächlich Recht gesprochen wurde. Sonnenfeldt begründete, warum er das bejaht.

Ein Schüler fragte, ob er als amerikanischer Soldat nicht den Faschismus mit Faschismus bekämpft habe. Die Antwort: "Ich war amerikanischer Bürger geworden und habe mein Land verteidigt, dem ja Deutschland den Krieg erklärt hatte. Ich sah mich auf der Seite des Guten."

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.