Pressestimmen

14. April 1999
"Als Jude damals in Offenbach -
Heinrich Schwarzwald erzählt"
Gespräch, Dias, Tondokument
Gesprächsleitung: Stadtarchivar Hans-Georg Ruppel

Frankfurter Rundschau, Lokal-Rundschau, 16.04.1999, Seite I

Heinrich Schwarzwald: Dienemann rettete mich
Vor 60 Jahren starb der letzte Rabbiner der jüdischen Gemeinde Offenbach vor dem Holocaust in Tel Aviv
Von Siegfried Scholz

Dr. Max Dienemann, Rabbiner der jüdischen Gemeinde Offenbach, starb vor 60 Jahren. Im Gespräch mit Stadtarchivar Hans-Georg Ruppel erzählte der heute 85jährige Heinrich Schwarzwald über dessen Leben und das Leiden der Juden unter dem Nazi-Terror in Offenbach.

OFFENBACH. Durch die Innenstadt marschierte die SA und die SS. Adolf Hitler wollte am 16. Juli 1932 auf dem Bieberer Berg sprechen. In der Innenstadt demonstrierten Sozialdemokraten und Kommunisten gegen den braunen martialischen Aufmarsch. Am Straßenrand stand eine Frau, nahm Pfeffer aus einem Säckchen und blies ihn den Nazi-Uniformierten ins Gesicht. Der heute 85jährige Augenzeuge Heinrich Schwarzwald. bekannte: "Den Mut dieser Frau bewundere ich heute noch." Schwarzwald, 1914 in Offenbach als Sohn eines aus Polen zugewanderten gläubigen jüdischen Schuhmachers und Grundschullehrers geboren, berichtete vor rund hundert Zuhörern in einem Gespräch mit Stadtarchivar Hans-Georg Ruppel über das Leben und Leiden der Juden während der Nazi-Herrschaft in Offenbach und über Max Dienemann.

Dienemann war der letzte Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Offenbach vor dem Holocaust. Er emigrierte 1938 über London nach Palästina und starb dort am 10. April 1939 in Tel Aviv. Die Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft hatte am Mittwoch abend in die Stadtbücherei eingeladen, um an den 60. Todestag des Rabbiner zu erinnern. Schwarzwald sagte: "Ich verdanke Max Dienemann mein Leben." Der Rabbiner gab ihm tausend Mark, um der Verfolgung und dem Konzentrationslager zu entgehen und um die Reise und das Einreisezertifikat nach Palästina bezahlen zu können.

Der gläubige Jude Heinrich Schwarzwald hatte sich wie viele anderen Offenbacher jüdischen Glaubens der Arbeiterbewegung angeschlossen. Schwarzwald, der eigentlich Rabbiner werden wollte und Tischler lernte, schloß sich der sozialistischen Arbeiterjugend an und wurde Mitglied in der Eisernen Front, dem linken Kampfbund gegen die Nationalsozialisten und Faschisten. Schwarzwald erinnert sich: "Der Hitler hat damals Angst gehabt vor dem roten Offenbach."

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wechselten auch in Offenbach viele aus der Arbeiterbewegung zu den Nationalsozialisten, von der Eisernen Front zur SA. Schwarzwald sagte: "Das tat mir am meisten weh, daß viele meiner Freunde nun auf einmal Nazi-Uniformen trugen und statt der linken Faust die rechte Hand zum Gruße hoben." Sein Vater habe zu ihm über die Nazi-Tyrannei gesagt. "Das ist eine Hochzeit, wo jeder mittanzen muß. Für uns wird es Zeit zu gehen."

Rabbiner Dienemann hatte in einem seiner letzten Gottesdienste in der Offenbacher Synagoge über den Auszug Moses aus Ägypten gepredigt: "Geht in das Land, das ich euch zeigen werde." Schwarzwald betonte auch: "Einen latenten und versteckten Antisemitismus habe ich immer in Offenbach gespürt, selbst bei meinen guten Freunden." Auch in Offenbach wurden alle jüdischen Geschäfte und Betriebe arisiert. Trotzdem habe es in jenen schlimmen Zeiten der Judenverfolgung immer wieder Menschen und Familien gegeben, die ihren jüdischen Mitbürgern halfen, beispielsweise bei der Beschaffung von Pässen.

Heinrich Schwarzwald, den die Offenbacher SPD unlängst für seine jahrzehntelange Mitgliedschaft ehrte, kam 1957 aus Israel, dem einstigen Palästina, zurück nach Offenbach. Sein Grund: "Offenbach ist immer mein Zuhause geblieben, aber Israel war meine Heimat und meine Zuflucht." Rabbiner Dienemann ging häufig von der Innenstadt durch den Büsing-Park zur Synagoge in der Kaiserstraße. Gestern gab Bürgermeister Stephan Wildhirt diesem Weg offiziell den Namen "Max-Dienemann-Weg".

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.