Pressestimmen

14. November 1999
"Die 'Arisierungen' in Offenbach -
Ein historischer Rundgang"
Leitung: Stadtarchivar Hans-Georg Ruppel

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.1999, Seite 72

"Schleichende Judenverfolgung"
Stadtarchivar Ruppel erläutert Beispiele für so genannte Arisierung in Offenbach

von. OFFENBACH. 1933 zählte sie noch rund 1500 Mitglieder, 1943 war die Jüdische Gemeinde in Offenbach nicht mehr existent. Zahlreiche Juden waren emigriert, mehr als 400 sind in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet worden. Die Repressionen gegen die Juden begannen schon kurz nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler im Januar 1933. Immer mehr wurden sie aus dem öffentlichen Leben verdrängt.

Zur Politik der Nationalsozialisten gehörte dabei auch, Juden zu enteignen, und den Besitz an so genannte Arier zu übergeben. Die Machthaber prägten dafür den Begriff der "Arisierung". Einzelne Fälle aus Offenbach stellte gestern Stadtarchivar Hans-Georg Ruppel auf einem von der "Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft" veranstalteten historischen Rundgang mit dem Titel "Die so genannte Arisierung in Offenbach nach 1933" vor.

Allein im Jahr 1938, als die so genannte Arisierung eingesetzt habe, seien etwa 40 jüdische Geschäfte in "arische" Hände übergegangen, trug Ruppel vor. Dazu gehörte auch das Bekleidungsgeschäft "Berger und Schmelzer", das an der heutigen Ecke Marktplatz / Kleiner Biergrund seinen Sitz hatte. Im Jahr 1938 sollte das Kaufhaus von Unternehmern, die nicht aus Offenbach stammten, übernommen werden. Doch die Offenbacher selbst wollten dieses Geschäft machen. Ein Angestellter kaufte im Spätsommer 1938 die Firma. Die Vorbesitzer mussten einen Abschlag von 40 Prozent auf den eigentlichen Wert des Kaufhauses hinnehmen.

Die Nationalsozialisten hätten großen Wert darauf gelegt, dass auch die Namen jüdischer Geschäfte gelöscht worden seien, sagte Ruppel. Im Fall der Lithographischen Kunstanstalt "Kramp und Comp." an der Berliner Straße hingegen änderten sie den Namen nicht, nachdem die Inhaber Julius Stern und Paul Nickelsberg am 10. November 1938 ihr Unternehmen verlassen mussten. Die Begründung: Der Name stamme vom arischen Firmengründer.

Doch schon vor 1938, und darauf wies Ruppel immer wieder hin, habe es in Offenbach eine "schleichende" Judenverfolgung gegeben. Den Metzgern sei beispielsweise von 1936 an kein Schlachtvieh mehr geliefert worden. Durch die künstlich geschaffene Notlage waren viele von ihnen gezwungen, ihre Geschäfte zu verkaufen. Ein markantes Beispiel für die frühe "Arisierung" sei der Übergang des Unternehmens "Mayer und Sohn" an die Firma "Salamander" im Jahr 1936, äußerte Ruppel. Der Inhaber war schon zuvor emigriert; seine beiden Direktoren hingegen, Max Weil und Karl Stern-Roth, waren geblieben, weil sie sich der Belegschaft verpflichtet fühlten.

Aber nicht nur durch den erzwungenen Verkauf unter Wert versuchten die Nationalsozialisten, die Juden aus dem wirtschaftlichen Leben zu verdrängen. Am 1. April 1934 rief Joseph Goebbels zum landesweiten Boykott jüdischer Geschäfte auf.

In Offenbach hatte die nationalsozialistische Zeitung "Offenbacher Nachrichten" sogar schon 1932 von den Bürgern gefordert, jüdische Geschäfte zu meiden. In Anzeigen hieß es: "Du deutscher Christ! Hör und bedenke: Kauf nie beim Juden Christgeschenke!"

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.