Pressestimmen

6. November 2003
Lesung von Robert Menasse, Wien, aus seinem Buch "Die Vertreibung aus der Hölle" und Gespräch mit dem ARD-Journalisten Jochanan Shelliem

Offenbach-Post, 08.11.2003, Seite 24

Blutwarme Menschlichkeit
Von der Lesung des Robert Menasse in der Jüdischen Gemeinde

Von Lothar R. Braun, Offenbach

Im Saal der Jüdischen Gemeinde ging es am Donnerstagabend um einen Roman. Auf dem Podiumplauderten der Autor, der ihn geschrieben und ein Journalist, der ihn gelesen hat. Zu ihren Füßen hatten sie ein Publikum, das den Roman bis dahin nicht kannte, doch bald schon von ihm hingerissen war.

Mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse und seinem Titel "Die Vertreibung aus der Hölle" leisteten Offenbacher Buchhändler, die Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft und die Industrie- und Handelskammer einen ungewöhnlichen Beitrag zum Gedenken an den Novemberpogrom von 1938. An den Tag, an dem vor brennenden Synagogen ahnungsvolle Zuschauer raunten: "Das rächt sich eines Tages".

Gelesene Abschnitte und das Gespräch mit dem Journalisten Jochanan Shelliem blätterten ein Erzählwerk auf, das auf unterschiedlichen Zeitebenen und mit einem verführerischen Humor über existentielle Fragen fabuliert. Erzählt werden Geschichten vom verheimlichten Judentum und von Opfern und Tätern, die geeint sind im Verdrängen, Verschweigen und Vergessenwollen.

Der Roman spielt vor 400 Jahren und in der Gegenwart. Spielerisch löst sich der Autor von der Bindung an Ort und Zeit, um andere Bezogenheiten zu knüpfen. Das fragt, beispielsweise, wann und wie Ahistorie zur Historie wird und tastet die Komplexität von Erinnerungskulturen ab. Zu notieren war der Satz: "Geschichte ist ein Spiegel; aus dem herausschaut, was hineinblickt."

Ein jüdischer Roman ist das, eine historische Erzählung, eine Gegenwartsstudie – alles verwebt sich zu einem aus plastischen Bildern gefügten, blutwarmen Erzählwerk über das Menschliche.

Vom 9. November war an diesem Abend nicht die Rede. Dessen bedurfte es auch nicht. Den Veranstaltern gelang zu diesem Tag ein Beitrag von subtiler Mehrschichtigkeit, den die Besucher so unterhaltsam wie anregend fanden. Am Ende konnte Menasse viel signieren.

[ zurück zur Übersicht über die Pressestimmen ]

© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.