"Stele der Erinnerung" enthüllt
Ostwand der ehemaligen Synagoge
Große Judengasse freigelegt
Feierstunde am 11. Oktober 2012


Zur Erinnerung an die Gründung der Israelitischen Gemeinde Offenbach im Jahr 1707 haben Oberbürgermeister Horst Schneider und Anton Jakob Weinberger, Vorsitzender der Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft, am Standort der einstigen Synagoge Große Judengasse, der heutigen Großen Marktstraße, die "Stele der Erinnerung" enthüllt.

Zugleich wurde die freigelegte und restaurierte Ostwand der 1729 bis 1730 errichteten zweiten Offenbacher Synagoge vorgestellt. Zwei Informationstafeln zur Geschichte der Juden in Offenbach, von der Stadt in Zusammenarbeit mit der Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft erstellt, ergänzen das Ensemble. An der gemeinsam von der Stadt Offenbach und der Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft veranstalteten Feierstunde nahmen am 11. Oktober 2012 mehr als 120 Bürger teil, darunter viele Vertreter aus Politik und Kulturleben Offenbachs. Stefan Bartmann - einer der Soloklarinettisten des Symphonieorchesters Neue Philharmonie Frankfurt - begleitete die Feierstunde mit synagogaler Musik, komponiert von Louis Lewandowski, Salomon Sulzer und Nurit Hirsch.

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Ostwand der ehemalige Synagoge in der Hintergasse
(Foto: Brigitte Pfeiffer, Fotostudio Pfeiffer )
Die freigelegte unverputzte Synagogenwand aus rotem Sandstein, die mittlerweile unter Denkmalschutz steht, die beiden Informationstafeln und die von dem Offenbacher Künstler Eugen El im Auftrag der Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft geschaffene "Stele der Erinnerung" befinden sich an der Ecke Große Marktstraße/Hintergasse. Die Israelitische Gemeinde gab die Synagoge in der Großen Marktstraße 1916 auf, da sie in der Goethestraße eine weitaus größere Kuppelsynagoge errichtet hatte. Zwischen 1919 und 1999 wurde das frühere Synagogengebäude mehrfach umgebaut und erweitert und als Kino genutzt.

Oberbürgermeister Horst Schneider verwies während der Feierstunde darauf, dass an diesem Ort nun "ein Stück absolut wichtiger Erinnerung" sichtbar sei. Schneider bekannte, dass ihm als gebürtigem Offenbacher die Bedeutung dieses Ortes für die jüdische Geschichte "so nicht bewusst" gewesen sei. Weinberger sagte: "Aus einer gesichtslosen Durchgangsstraße am Rand der Fußgängerzone ist durch die Freilegung der Synagogenwand, die Anbringung der Informationstafeln und die Errichtung der Stele ein Erinnerungsraum geworden, in dem sich die Zeitschichten überlagern und die historischen Brüche erfahrbar werden." In einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Konflikte zunehmend wieder religiös aufgeladen würden, könne ein solcher Erinnerungsraum zur Besinnung und zum menschlichen Miteinander anregen. Wolfgang Luy, der an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach lehrt, sagte, durch das neue Ensemble sei ein "Nicht-Ort" in eine urbane Stätte der Begegnung verwandelt worden.

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"Stele der Erinnerung" und Informationstafeln
(Foto: Brigitte Pfeiffer, Fotostudio Pfeiffer )
Rolf Wille, Inhaber des Geschäftshauses, dessen Teil die Synagogenwand ist, bekannte, dass er eine "Verpflichtung zur Wiederherstellung" eines Teils der Synagoge verspürt habe. Allerdings habe er nicht geahnt, worauf er sich einlasse. Nach der Beseitigung der Fassadenplatten sei erst das Chaos an Baumaterialien, die bei verschiedenen Umbauten verwendet worden seien, sichtbar geworden. In Absprache mit dem Amt für Stadtplanung und Baumanagement habe man sich dafür entschieden, die ursprüngliche Gestalt der Synagogenwand samt Fensterbögen und Querbändern wieder sichtbar zu machen. Finanziert wurde die Freilegung teils durch das städtische Projekt "Aktive Innenstadt", teils durch den Besitzer der Immobilie.

Im Auftrag und in enger Abstimmung mit der Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft hat der Künstler Eugen El, Absolvent der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG), eine Bronzestele entworfen, die die Verbindung von den Anfängen der Israelitischen Gemeinde im frühen 18. Jahrhundert über das 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart herstellt. Mit diesem Kunstwerk soll an die Gründung der Israelitischen Gemeinde Offenbach vor mehr als 300 Jahren erinnert werden. Die Dr. Marschner Stiftung, Frankfurt, hat die Realisierung des Kunstprojekts durch eine großzügige Spende ermöglicht. Die "Stele der Erinnerung" markiert den Standort der ersten und zweiten Synagoge in der vormaligen Großen Judengasse, seit 1822 Große Marktstraße. Zwei Jahrhunderte lang war diese Synagoge das religiöse und soziale Zentrum der Israelitischen Gemeinde Offenbach.

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"Stele der Erinnerung" (Detail)
(Foto: Brigitte Pfeiffer, Fotostudio Pfeiffer )
Während der Feierstunde sagte Weinberger weiter, als wissenschaftlich-kulturelle Vereinigung, in der Juden und Nichtjuden zusammenwirkten, wolle die Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft mit ihrer Kunstinitiative einen Beitrag zur Entwicklung von Geschichtsbewusstsein in der Bürgerschaft wie zur Stadtgestaltung Offenbachs leisten. Mit der Stele als Gestaltungsform werde ein frühes Muster der jüdischen Erinnerungskultur aufgegriffen, wie es im 5. Buch Mose belegt sei, das Aufrichten von Steinen, die als Inschrift die Gebote Gottes enthielten. Zwar habe man für die Stele Bronze statt gekalktem Stein als Material verwendet. Doch die auf Hebräisch und Deutsch zu lesende Inschrift "Wisse, vor wem du stehst" sei Erinnerung und Mahnung. Diese Sentenz aus dem Babylonischen Talmud, Traktat Berachot 28b, sei über dem Toraschrein der Synagoge in der Großen Marktstraße zu lesen gewesen. Für den Originaltext sei die hebräische Schrift adaptiert worden, die der Offenbacher Schriftgestalter Berthold Wolpe zu den Illustrationen der 1927 von Siegfried Guggenheim veröffentlichten "Offenbacher Haggadah" entworfen habe. Für die deutsche Übersetzung habe man die Wolpe-Schrift "Albertus" verwendet.

Die Synagoge in der ehemaligen Großen Judengasse war die Wirkungsstätte von Rabbiner Salomon Formstecher (1808 bis 1889), einem der "Gründungsväter" der jüdischen Reformbewegung im 19. Jahrhundert. Formstecher hat die erste philosophische Schrift dieser Bewegung verfasst. "Die Religion des Geistes", so der Kurztitel, ist bis in die Gegenwart hinein wissenschaftlich als ein wichtiges Zeugnis der Aufklärung und Modernisierung im Judentum gewürdigt worden.

Pressestimmen:
Frankfurter Allgemeine - Frankfurter Rundschau - Offenbach-Post - Homepage der Stadt Offenbach

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.