»Aus der Synagoge in die Stadtkirche – Wege einer Offenbacher Orgel«
Vortrag und Musik

27. Februar 2014, 18.00 Uhr
Stadtkirche Offenbach
Herrnstraße 44, 63065 Offenbach

Veranstalter:
Evangelisches Dekanat Offenbach in Kooperation mit Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft Offenbach


Der Musikwissenschaftler Dr. Ralph Philipp Ziegler und der Organist Friedemann Becker wollen bei dieser Veranstaltung Erkenntnisse über ein Musikinstrument vorstellen, das, wie Ziegler in einer Mitteilung schreibt, eine "eindrucksvolle Brücke aus der Vergangenheit in die Gegenwart" ist. Manchmal fänden sich erst nach Jahrzehnten Brücken, die zuvor keiner bewusst habe begehen können, da man den möglichen Ort des Übertritts über das Gewässer der Zeit nicht gekannt habe: "So ist es mit der 1916 eingeweihten Orgel der früheren Offenbacher Synagoge an der Goethestraße." Erst vor wenigen Monaten gelang es Ziegler, den Nachweis zu führen, dass mehrere Pfeifenreihen dieses wertvollen Instruments noch heute zum Lob Gottes erklingen – in der Offenbacher Stadtkirche.

Am 27. Februar wird Dr. Ralph Philipp Ziegler, Leiter des städtischen Amts für Kulturmanagement und promovierter Musikwissenschaftler, in der Stadtkirche über seine Forschungen berichten, die diese interessante Tatsache hervorgebracht haben. Die 1956 gebaute Orgel der Kirche, in der acht Register des Instruments aus der ehemaligen Synagoge eingebaut wurden, wird an diesem Abend zudem live zu hören sein, und zwar mit Musik, die sich auf das Projekt "Getauft, ausgestoßen – und vergessen? Evangelische Christen jüdischer Herkunft in Offenbach 1933-1945" bezieht.

Der Vortragsabend setzt zugleich den Schlusspunkt für die Ausstellung, die in der Stadtkirche vom Evangelischen Dekanat Offenbach zu diesem Thema präsentiert wird. Die Finissage findet in Kooperation mit der Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft statt.

Dekanatskirchenmusiker Friedemann Becker wird an diesem Abend das Felix Mendelssohn Bartholdys Präludium c-Moll und von Louis Lewandowski, einem der bedeutendsten Repräsentanten der Musik des Reformjudentums, Auszüge aus den "Consolations" spielen. Auch will Becker die einzelnen Pfeifenreihen, die der Synagogenorgel entstammen, vorstellen.

Wie Ziegler weiter schreibt, wurde die Orgel der Offenbacher Synagoge 1915/16 vom damals erfolgreichsten deutschen Orgelbauunternehmen E.F. Walcker & Cie. mit einem hochmodernen Klangbild gebaut und dürfte bis zur Schändung der Synagoge die größte Orgel Offenbachs gewesen und geblieben sein. Nach den Zerstörungen in der Pogromnacht 1938 verkaufte die Gemeinde das Gebäude unter dem Druck der Situation an die Stadt Offenbach, die es wiederum an das Kinobetreiberehepaar Georg und Lina Ruttmann veräußerte. Diese ließen unter Verwendung von Teilen der Synagogenorgel ein zeitgemäßes Konzertinstrument für das im Gebäude eingerichtete Premierenkino und Theater erstellen, die ihre Besonderheit über ein Farblichtsystem erhielt, mit dem im Geist der 1920er Jahre außergewöhnliche Lichtwirkungen in Wechselwirkung mit der Musik erzielt werden konnten.

Das Instrument wurde wohl nur wenige Male tatsächlich verwendet und 1948 an die Stadtkirchengemeinde verkauft. Für das evangelische Gotteshaus war sie jedoch zu groß und auch in einigen Teilen kriegsbedingt technisch mit unterdurchschnittlichem Material ausgestattet, so dass es bereits 1956 neu gebaut wurde – unter Verwendung von Teilen des alten Instruments. Da die Kinobetreiber 1941 behauptet hatten, die Konzertorgel sei ein nagelneues Instrument, war bislang angenommen worden, die verbauten Pfeifen seien von 1941. Zieglers Aktenstudium der Unterlagen über den Orgelbau von 1941, unter anderem im Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, und das Pfeifenmaterial im Instrument selbst bestätigten jedoch, dass ein Großteil der wiederverwendeten Pfeifen noch aus der Orgel der früheren Synagoge stammt.

Seine Erkenntnisse hat Ziegler in der Publikation "Ton und Atmosphäre – Die Geschichte der Orgeln im Offenbacher Capitol Theater" veröffentlicht, die vor kurzem im CoCon-Verlag, Hanau, erschienen ist.

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.